Der Hund gilt in der islamischen Welt nach dem Schwein als das unreinste Tier.
MACHT DER BILDER
Mehr als tausend Worte
Fotos sind eine Waffe im Kampf der Kulturen. Vor allem, wenn sie ein Tabu verletzen, das in der islamischen Welt noch gilt: Nacktheit.
Autor: VOLKER S. STAHR
Unvergessen das Bild aus Vietnam: die nackte, von Brandwunden gezeichnete Neunjährige, auf der Flucht aus ihrem mit Napalm beschossenen Dorf. Unvergessen Fotos vom Massaker in My Lai, bei dem US-Soldaten auf alles schießen sollten, was sich bewegte. Unvergessen das folgenreichste Foto jener Jahre: die exakt festgehaltene Exekution eines Vietcong auf offener Straße durch den Polizeichef Südvietnams. Spätestens nach diesem Bild war der Krieg für die USA nicht mehr zu gewinnen. Kurz darauf musste mit Lyndon B. Johnson ein Präsident auf eine erneute Kandidatur verzichten. Bilder sagen mehr als 1000 Worte. Die US-Regierung und ihre Militärs hatten im Vietnamkrieg versucht, diese alte Weisheit zu ihren Gunsten einzusetzen. Sie erreichten das Gegenteil.
In diesen Tagen machen wieder Schockbilder die Runde, diesmal aus einem Quasi-Krieg. Bilder von US-Soldaten und -Soldatinnen, die Iraker foltern und im wahrsten Wortsinn bloßstellen. Bilder, die Gefangene nackt zeigen. Bilder, die Gefangene in die Nähe homosexueller Akte rücken. Bilder, auf denen Gefangene vor US-Soldatinnen masturbieren müssen. Bilder, auf denen eine Soldatin einen Iraker an einer Hundeleine hinter sich herzieht. Bilder, die zum Teil auch gestellt wurden, um Druck auf die Gefangenen auszuüben.
Bilder aber auch, die vielleicht mehr im Krieg und im Verhältnis der islamischen Welt zum Westen bewirken als alles andere. „Erschreckend? Nein, eher bestätigend“, lautet die überraschende Einschätzung des Erfurter Islam- und Medienexperten Kai Hafez aus ersten Erfahrungen, die er in Kairo bei Gesprächen über die Bilder machte. „Bestätigung, weil sie für die Muslime den sichtbaren Beweis dafür geben, dass die USA so sind, wie sie sie sehen.“ Schon lange, so der Professor für Internationale Kommunikationswissenschaft, glaubten Muslime nicht mehr daran, dass die USA sie als gleichberechtigt sehen. Schon lange glaubten sie nicht mehr, dass die USA ihnen mit kultureller Sensibilität entgegentreten. Doch dies sei ein diffuses Gefühl gewesen. Die Bilder hätten in ihren Augen nun den Beweis geliefert. Das Gefühl, das vorherrscht: „Die USA betrachten uns nicht als ebenbürtig. Und: Sie sind keinen Deut besser als andere. Auch wenn sie dies gern von sich behaupten mögen . . .“
Vielleicht ist dies sogar die am meisten erschreckende Botschaft, die von den Bildern aus Abu Ghraib ausgeht. Nicht Erschrecken in der islamischen Welt, sondern Desillusionierung. Dabei macht ein Nebensatz von Hafez deutlich, wie erschreckend und verletzend die Bilder selbst sind. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass die islamische Welt öffentlich besonders auf die Bilder reagiert“, sagt er. In der Tat: Die Reaktion hält sich zwischen Rabat und Jakarta in Grenzen. Zum einen aus Desillusionierung. Zum anderen, weil die Bilder auch eine Sphäre treffen, die bei Muslimen längst nicht so öffentlich ist, wie dies im Westen und in dessen medial öffentlichem Leben der Fall ist. Eine Sphäre, die noch Tabus hat, die Sphäre vom Umgang der Geschlechter, von Nacktheit und vom Schamgefühl in der Öffentlichkeit.
In dieser Hinsicht – da sind sich Experten einig und das wird einem auch bei Gesprächen mit den Menschen vom Universitätsdozenten in Istanbul bis zum Verkäufer in Kairo bestätigt – haben die Bilder den Nerv der islamischen Öffentlichkeit getroffen. „Mag im Westen Nacktheit zum Alltag gehören“, sagt uns ein Dozent aus Istanbul am Telefon, „so weit sind wir noch nicht. Egal, ob mehr oder weniger islamisch angehaucht . . .“
Im Islam haben Scham und Nacktheit schon immer und noch immer eine andere Bedeutung als im Westen. Jeder Muslim kennt eine bestimmte Geschichte aus der Frühzeit des Islam: Einst hatte Ali, der Schwiegersohn des Propheten Mohammed, einem Gegner einen Schlag mit seinem Schwert verpasst. Der stürzte zu Boden und verlor dabei sein Gewand. Ali richtete ihn nicht. Zu Mohammed gewandt soll er gesagt haben, dass der Feind genug gestraft sei, entblößt und seiner Würde beraubt . . .
Nacktheit und öffentliche S.exualität sind in der islamischen Welt ein Tabu. Nicht nur für Frauen, für die der Islam eine weitgehende Bedeckung vorsieht. Schlimmer ist, dass Männer eine zu achtende und übergeordnete Rolle einzunehmen haben (auch mit Pflichten, die in diesem Zusammenhang gern übersehen werden).
Nun ändert sich dies im Alltag langsam. Trotzdem ist auch bei weniger streng erzogenen Muslimen das Rollenbild vorhanden. Wie verheerend müssen dann Bilder wirken, in denen eine Frau Männer demütigt? Hinzu kommt, dass auch Männer Scham haben. Zwischen Nabel und Knie liegt deren Schamzone. In Badehäusern immer durch ein Tuch bedeckt, an Stränden oft durch Shorts. Männer mit nackten Genitalien – das hat somit im Verständnis der islamischen Welt etwas von „Entmannung“.
Doch dies ist lange nicht das einzige heikle Thema für Muslime. Gleich mehrfach haben die „US-Strategen“ den Nerv getroffen. Zum Beispiel bei dem Bild mit der Soldatin, die einen Gefangenen an einer Hundeleine zieht. Der Hund gilt in der islamischen Welt nach dem Schwein als das unreinste Tier. Ein weiteres heikles Thema ist Homosexualität. Sie gilt in der traditionellen islamischen Öffentlichkeit als Sünde. Vor einigen Jahren gab es in Malaysia, wo Muslime eine Vorrangstellung einnehmen, einen Aufsehen erregenden Prozess. Darin wurde Vizepremier Anwar Ibrahim unter anderem wegen homosexueller Verfehlungen zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Anwar war auf dem besten Weg, Regierungschef Mahathir Mohamad in der Gunst der Bevölkerung und damit wohl auch bald im Amte abzulösen. Insofern war das – ohne Zweifel lancierte – Vorgehen doppelt perfide.
Das Urteil zog den Vize physisch aus dem Verkehr. Doch der Inhalt des Urteils war bedeutender. Es sollte ihn persönlich in einem wichtigen Teil der Wählerschaft diskreditieren. In diese Richtung zielten auch die Fotos, mit denen den Gefangenen selbst massiv gedroht werden sollte.
Ob die Bilder direkte Wirkung zeitigen werden, ist offen. In der Tat ist die direkte Aufregung erst einmal gering. Wenn, so Hafez, sei eine Langzeitwirkung zu befürchten. „Es hat etwas von der erleichternden Bestätigung für etwas, was man schon lange weiß. Die Empörung jetzt ist gering. Sie ist längst ,abgearbeitet‘.“ Was folgt, ist denn auch jetzt eher eine Phase der Emotionslosigkeit. Gefährlicher Emotionslosigkeit. So gibt es in der islamischen Welt keinen Aufschrei angesichts der Hinrichtung eines US-Bürgers. Es ist auch kaum zu erwarten, dass Muslime aufschreien werden, wenn weitere solche Taten folgen. Experten haben schon darauf hingewiesen, dass die Bilder Wasser auf die Mühlen der Extremisten um bin Laden sein könnten.
Nun könnten Bilder folgen, die den Nerv der US-Bürger treffen. Nicht, wie einst in Vietnam, Bilder eines schrecklichen Krieges in einem fernen Land. Sondern vielleicht Bilder von Einzelschicksalen wie jenem geköpften Amerikaner. So gesehen könnte es in absehbarer Zeit wieder noch mehr Bilder geben, die Weltgeschichte schreiben, die Politik und Kriege und auch das Verhältnis zwischen den Kulturen beeinflussen könnten. Mehr als viele, selbst gute Worte. Das Medienzeitalter schreibt seine eigene(n) Geschichte(n).
MACHT DER BILDER
Mehr als tausend Worte
Fotos sind eine Waffe im Kampf der Kulturen. Vor allem, wenn sie ein Tabu verletzen, das in der islamischen Welt noch gilt: Nacktheit.
Autor: VOLKER S. STAHR
Unvergessen das Bild aus Vietnam: die nackte, von Brandwunden gezeichnete Neunjährige, auf der Flucht aus ihrem mit Napalm beschossenen Dorf. Unvergessen Fotos vom Massaker in My Lai, bei dem US-Soldaten auf alles schießen sollten, was sich bewegte. Unvergessen das folgenreichste Foto jener Jahre: die exakt festgehaltene Exekution eines Vietcong auf offener Straße durch den Polizeichef Südvietnams. Spätestens nach diesem Bild war der Krieg für die USA nicht mehr zu gewinnen. Kurz darauf musste mit Lyndon B. Johnson ein Präsident auf eine erneute Kandidatur verzichten. Bilder sagen mehr als 1000 Worte. Die US-Regierung und ihre Militärs hatten im Vietnamkrieg versucht, diese alte Weisheit zu ihren Gunsten einzusetzen. Sie erreichten das Gegenteil.
In diesen Tagen machen wieder Schockbilder die Runde, diesmal aus einem Quasi-Krieg. Bilder von US-Soldaten und -Soldatinnen, die Iraker foltern und im wahrsten Wortsinn bloßstellen. Bilder, die Gefangene nackt zeigen. Bilder, die Gefangene in die Nähe homosexueller Akte rücken. Bilder, auf denen Gefangene vor US-Soldatinnen masturbieren müssen. Bilder, auf denen eine Soldatin einen Iraker an einer Hundeleine hinter sich herzieht. Bilder, die zum Teil auch gestellt wurden, um Druck auf die Gefangenen auszuüben.
Bilder aber auch, die vielleicht mehr im Krieg und im Verhältnis der islamischen Welt zum Westen bewirken als alles andere. „Erschreckend? Nein, eher bestätigend“, lautet die überraschende Einschätzung des Erfurter Islam- und Medienexperten Kai Hafez aus ersten Erfahrungen, die er in Kairo bei Gesprächen über die Bilder machte. „Bestätigung, weil sie für die Muslime den sichtbaren Beweis dafür geben, dass die USA so sind, wie sie sie sehen.“ Schon lange, so der Professor für Internationale Kommunikationswissenschaft, glaubten Muslime nicht mehr daran, dass die USA sie als gleichberechtigt sehen. Schon lange glaubten sie nicht mehr, dass die USA ihnen mit kultureller Sensibilität entgegentreten. Doch dies sei ein diffuses Gefühl gewesen. Die Bilder hätten in ihren Augen nun den Beweis geliefert. Das Gefühl, das vorherrscht: „Die USA betrachten uns nicht als ebenbürtig. Und: Sie sind keinen Deut besser als andere. Auch wenn sie dies gern von sich behaupten mögen . . .“
Vielleicht ist dies sogar die am meisten erschreckende Botschaft, die von den Bildern aus Abu Ghraib ausgeht. Nicht Erschrecken in der islamischen Welt, sondern Desillusionierung. Dabei macht ein Nebensatz von Hafez deutlich, wie erschreckend und verletzend die Bilder selbst sind. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass die islamische Welt öffentlich besonders auf die Bilder reagiert“, sagt er. In der Tat: Die Reaktion hält sich zwischen Rabat und Jakarta in Grenzen. Zum einen aus Desillusionierung. Zum anderen, weil die Bilder auch eine Sphäre treffen, die bei Muslimen längst nicht so öffentlich ist, wie dies im Westen und in dessen medial öffentlichem Leben der Fall ist. Eine Sphäre, die noch Tabus hat, die Sphäre vom Umgang der Geschlechter, von Nacktheit und vom Schamgefühl in der Öffentlichkeit.
In dieser Hinsicht – da sind sich Experten einig und das wird einem auch bei Gesprächen mit den Menschen vom Universitätsdozenten in Istanbul bis zum Verkäufer in Kairo bestätigt – haben die Bilder den Nerv der islamischen Öffentlichkeit getroffen. „Mag im Westen Nacktheit zum Alltag gehören“, sagt uns ein Dozent aus Istanbul am Telefon, „so weit sind wir noch nicht. Egal, ob mehr oder weniger islamisch angehaucht . . .“
Im Islam haben Scham und Nacktheit schon immer und noch immer eine andere Bedeutung als im Westen. Jeder Muslim kennt eine bestimmte Geschichte aus der Frühzeit des Islam: Einst hatte Ali, der Schwiegersohn des Propheten Mohammed, einem Gegner einen Schlag mit seinem Schwert verpasst. Der stürzte zu Boden und verlor dabei sein Gewand. Ali richtete ihn nicht. Zu Mohammed gewandt soll er gesagt haben, dass der Feind genug gestraft sei, entblößt und seiner Würde beraubt . . .
Nacktheit und öffentliche S.exualität sind in der islamischen Welt ein Tabu. Nicht nur für Frauen, für die der Islam eine weitgehende Bedeckung vorsieht. Schlimmer ist, dass Männer eine zu achtende und übergeordnete Rolle einzunehmen haben (auch mit Pflichten, die in diesem Zusammenhang gern übersehen werden).
Nun ändert sich dies im Alltag langsam. Trotzdem ist auch bei weniger streng erzogenen Muslimen das Rollenbild vorhanden. Wie verheerend müssen dann Bilder wirken, in denen eine Frau Männer demütigt? Hinzu kommt, dass auch Männer Scham haben. Zwischen Nabel und Knie liegt deren Schamzone. In Badehäusern immer durch ein Tuch bedeckt, an Stränden oft durch Shorts. Männer mit nackten Genitalien – das hat somit im Verständnis der islamischen Welt etwas von „Entmannung“.
Doch dies ist lange nicht das einzige heikle Thema für Muslime. Gleich mehrfach haben die „US-Strategen“ den Nerv getroffen. Zum Beispiel bei dem Bild mit der Soldatin, die einen Gefangenen an einer Hundeleine zieht. Der Hund gilt in der islamischen Welt nach dem Schwein als das unreinste Tier. Ein weiteres heikles Thema ist Homosexualität. Sie gilt in der traditionellen islamischen Öffentlichkeit als Sünde. Vor einigen Jahren gab es in Malaysia, wo Muslime eine Vorrangstellung einnehmen, einen Aufsehen erregenden Prozess. Darin wurde Vizepremier Anwar Ibrahim unter anderem wegen homosexueller Verfehlungen zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Anwar war auf dem besten Weg, Regierungschef Mahathir Mohamad in der Gunst der Bevölkerung und damit wohl auch bald im Amte abzulösen. Insofern war das – ohne Zweifel lancierte – Vorgehen doppelt perfide.
Das Urteil zog den Vize physisch aus dem Verkehr. Doch der Inhalt des Urteils war bedeutender. Es sollte ihn persönlich in einem wichtigen Teil der Wählerschaft diskreditieren. In diese Richtung zielten auch die Fotos, mit denen den Gefangenen selbst massiv gedroht werden sollte.
Ob die Bilder direkte Wirkung zeitigen werden, ist offen. In der Tat ist die direkte Aufregung erst einmal gering. Wenn, so Hafez, sei eine Langzeitwirkung zu befürchten. „Es hat etwas von der erleichternden Bestätigung für etwas, was man schon lange weiß. Die Empörung jetzt ist gering. Sie ist längst ,abgearbeitet‘.“ Was folgt, ist denn auch jetzt eher eine Phase der Emotionslosigkeit. Gefährlicher Emotionslosigkeit. So gibt es in der islamischen Welt keinen Aufschrei angesichts der Hinrichtung eines US-Bürgers. Es ist auch kaum zu erwarten, dass Muslime aufschreien werden, wenn weitere solche Taten folgen. Experten haben schon darauf hingewiesen, dass die Bilder Wasser auf die Mühlen der Extremisten um bin Laden sein könnten.
Nun könnten Bilder folgen, die den Nerv der US-Bürger treffen. Nicht, wie einst in Vietnam, Bilder eines schrecklichen Krieges in einem fernen Land. Sondern vielleicht Bilder von Einzelschicksalen wie jenem geköpften Amerikaner. So gesehen könnte es in absehbarer Zeit wieder noch mehr Bilder geben, die Weltgeschichte schreiben, die Politik und Kriege und auch das Verhältnis zwischen den Kulturen beeinflussen könnten. Mehr als viele, selbst gute Worte. Das Medienzeitalter schreibt seine eigene(n) Geschichte(n).