ADHS kommt auch bei Kindern vor, die aus gutem Elternhaus stammen, in dem sich die Eltern intensiv, liebevoll und ausgiebig mit den Kindern beschäftigen und nicht vor Playstation und Co setzen - und ja, die lieben ihre Kinder auch, ansonsten würden sie sicher nicht versuchen alles in Bewegung zu setzen um ihren Kindern zu helfen
Und warum ist die Quote bei schlechtem Umfeld SO VIEL HÖHER?
Oder in Orten wo es viele Psychologen gibt? Oder dort wie die Uni-Klinik dafür liegt??
Warum ist darauf bisher noch nieamnd eingegangen?
Du stellst hier mehrere Fragen, die im Grunde unabhängig voneinander beantwortet werden müssen.
Eine Antwort trifft allerdings auf alle 3 zu: Das Phänomen ADHS als solches und seine Häufigkeit (also: ADHS als "Massenphänomen") wird erst seit wenigen Jahren zielgerichtet untersucht. In der von dir verlinkten Studie steht ja drin, dass als nächstes (die Untersuchungen laufen derzeit) ermitteln wollen,
wie genau sich das "schlechte Umfeld" bzw. der niedrigen Sozialstatus der Eltern auf das Symptombild auswirkt.
Es gibt hier zwei (bzw. drei) Hauptansatzpunkte.
Zum einen den von Pixelstall erwähnten... die genetische Komponente. Es wird vermutet, dass Eltern mit unerkanntem AD(H)S Schwierigkeiten haben, ein geregeltes Leben zu führen, und dann bereits in einem schlechten Umfeld sind, wenn sie ihrerseits Kinder bekommen.
Zum zweiten die "epigenetische" Komponente: Das sind Faktoren, die sich schon während der Schwangerschaft auf die Entwicklung des Kindes auswirken. Das sind nicht nur Dinge, die den Embryo aktiv schädigen, wie Alkohol oder Nikotin, sondern auch welche, die die Aktivität verschiedener Gene während der Schwangerschaft beeinflussen, und damit tatsächlich die Erbanlagen des Babys. Ein bestimmter Lebensstil der Mutter in der Schwangerschaft kann also ADHS beim Kind begünstigen.
Zum dritten (ich gehe hier sozusagen chronologisch in der Entwicklung vor, nicht nach "Wichtigkeit") "nicht vererbte" familiäre Faktoren wie die Lebensführung in der Familie (hier: zB wenig Bewegung, Fernsehkonsum, Ernährungsweise, strutkurierter oder nicht so strukturierter Tagesablauf), die die Entstehung einer solchen Störung begünstigen können, oder eben auch nicht.
Dieses Phänomen ist aber von vielen multifaktoriellen Krankheitsbildern ebenfalls bekannt, wo es den Leuten oft deutlich einsichtiger ist, dass eine körperliche Ursache mit eine Rolle spielt. Beispiele wären z.B. Rheuma oder Neurodermitis. Für beide Krankheiten gibt es genetische Faktoren, die die Entstehung begünstigen, aber die Umwelt sowie weitere Faktoren spielen eine Rolle dabei, ob die Krankheit bei jemandem, der "Risikoträger" ist, wirklich ausbricht.
Ein anderes Beispielt, dass dem ADHS vielleicht noch ähnlicher ist, ist ein zu hoher Cholesterinspiegel.
Es gibt (das ist recht lange bekannt) genetische Faktoren, die diesen nebst aller negativen Folgen begünstigen, oder sogar dazu führen, dass, Diät und gesunde Lebensführung hin oder her, ein Patient davon massiv betroffen ist.
Dabei gibt es wiederum Varianten, die auf eine fettarme Diät sehr gut ansprechen, und andere, wo nur Medikamente helfen. Das erkennt man aber erst, wenn man das ausprobiert, bzw. bei einem Gentest, denn vom Blutbild her unterscheiden sich die Patienten nicht.
Es gibt aber auch Leute, die annähernd dasselbe Symptombild zeigen, aber
kein feststellbares genetisches Risiko aufweisen - oder, wie ein früherer Chef von mir mal sagte: "Wenn man denen auf den Teller guckt, weiß man, woher das viele Blutfett kommt!"
Auch da zeigt sich oft eine "familiäre" Häufung, aber eher, weil Eltern ihre Essgewohnheiten an die Kinder weitergeben.
Diesen Patienten wäre durch eine Diät und mehr Sport, weniger Rauchen etc. am besten geholfen. Viele nehmen auch hier allerdings lieber Medikamente, als ihr Leben so massiv zu ändern.
Für diese letzte Gruppe von Patienten ist diese Störung klar ein Wohlstandsphänomen. Gäbe es weniger zu essen, hätten sie keine Probleme. Für die anderen genannten Gruppen ist das aber nicht der Fall.
Insgesamt würde aber, nur weil es
beides gibt, niemand auf die Idee kommen, zu sagen, einen erblich bedingten zu hohen Cholesterinspiegel gibt es nicht, den haben Ärzte und Pharmaindustrie sich nur ausgedacht.
Und ich denke, bei ADHS ist es ähnlich. Wobei da ja auch noch die Ausprägung sehr unterschiedlich ist, sodass dem einen kind vielleicht schon mit einem strukturierten Tagesablauf geholfen ist, während das andere Medikamente braucht, um überhaupt einen solchen Tagesablauf einhalten zu können.
Zur zweiten Frage: "Warum ist die Zahl der Fälle da, wo es viele Psychologen und/oder eine Uni-Klinik gibt, so viel höher?"
Das Phänomen gibt es gleichfalls bei jeder nicht ganz so gängigen Erkrankung, und auch hier kommen vermutlich zwei Phänomene zum Tragen.
1. Wer nicht suchet, der nicht findet. In einer Gegend, wo man ein Jahr oder länger auf einen Termin beim Kinderpsychologen warten muss, oder mehrere Stunden bis in die nächste größere Klinik fährt, ist die Chance, dass ein Kind von einem Fachmann überhaupt begutachtet wird, deutlich kleiner. Auch Ärzte (und Eltern!) ziehen wohl weniger in Betracht, noch einen Facharzt aufzusuchen, wenn der nicht um die Ecke wohnt. Und in Zweifelsfällen ist es schwieriger, eine unabhängige zweite Meinung zu bekommen, weil vielleicht nur EIN Facharzt vorhanden ist.
(Es ist außerdem auch möglich, dass Ärzte in der Provinz seltener an Weiterbildungen teilnehmen, weil es für sie gleichfalls schwieriger ist, zu welchen hinzukommen. Oder dass sie insgesamt weniger Patienten haben und solche Fälle dann seltener sehen und evtl. nicht sofort erkennen... also, jetzt nicht auf ADHS bezogen, sondern auf ein beliebiges nicht so häufiges Krankheitsbild.)
und
2. Den umgekehrten Fall gibt es genauso: Kinder, die untersucht werden, haben (logischerweise
) ein deutlich höheres Risko, "überdiagnostiziert" zu werden als Kinder, die sich gar kein Arzt erst anschaut.
Das Risiko dafür ist meines Erachtens bei einem Bild wie ADHS noch deutlich höher als bei einer "körperlichen" Erkrankung, weil die Diagnosekriterien nicht eindeutig sind, und Umwelteinflüsse eine so große Rolle spielen. (Was nebenbei wiederum das Aufspüren möglicher genetischer Faktoren für ADHS erheblich erschwert).
Um aber auseinanderzufisseln, wie groß der Anteil der "fehldiagnostizierten" Kinder durch "zu viele Untersuchungen" oder "mangelhafte Diagnosekriterien" ist, braucht man längere Beobachtungen, größere Stichproben usw. - ich denke, das gehört zu den Untersuchungen, die zurzeit noch laufen.
Mir ist klar, wenn jemand damit sein Geld verdient, er dieses Thema anders sieht als eine Mutter (ICH) der man ständig versucht einzureden, dass das Kind "Krank" ist.
Nur der Vollständigkeit halber: Ich verdiene mein Geld nicht (mehr) mit Genetik und habe es noch nie mit Arbeiten zum Thema ADHS verdient, von daher habe ich also keinen "persönlichen" Grund, die Dinge so zu betrachten, wie es tue.
Ich kann aber nachvollziehen, warum du dir bestimmte Dinge nicht einreden lassen willst, und finde das, was du für euch beschreibst, "aus dem Bauch heraus" sinnvoll und gut. Ich bin absolut der Meinung, dass man nicht alles, was "nicht dem Durchschnitt entspricht", therapieren muss.
Es gibt aber eben auch Fälle, wo alle Beteiligten so drunter leiden, dass eine Therapie sinnvoll ist. Und allen Eltern in solchen Fällen auf den Kopf zuzusagen (so wie Spanish es vielleicht unabsichtlich gemacht hat), die "würden sich nicht kümmern", und mit etwas mehr Aufmerksamkeit und Bemühung von seiten der Eltern wäre alles in Butter, geht schlicht am Problem vorbei und ist den Beteiligten gegenüber auch nicht fair.
Das ist dann in etwa so, wie wenn man Eltern, deren Kind sich das Bein gebrochen hat, einen Vorwurf macht, wenn das Kind einen komplizierten Bruch hat, der mehrere OPs erfordert - während andere Kinder mit Beinbruch nach 6 Wochen schon wieder herumlaufen und gar nichts mehr haben.