Dann schauen wir mal, was die Veganer (oder zumindest einige von ihnen) an "Literatur" auf den Markt werfen
Eßt mehr wehrlose Möhren!
Charles Patterson schießt ein veganisches Eigentor
von Tobias Kaufmann
Charles Pattersons "Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka" soll ein Aufklärungsbuch sein. Doch es disqualifiziert sich schon beim ersten Durchblättern. Das Anfangskapitel wird mit einem Zitat von Ron Lee eingeleitet, dem Gründer der "Animal Liberation Front" - einer radikalen Tierschützergruppe, die von der amerikanischen Bundespolizei FBI als terroristische Vereinigung eingestuft wird. Und am Ende des Buches dankt Patterson, Psychotherapeut und Dozent für Geschichte aus New York, Ingrid Newkirk, der Präsidentin von PeTA (People for the ethical Treatment of Animals), jener Organisation, die mit ihrer Kampagne "Der Holocaust auf deinem Teller" Schweine und Juden auf eine Stufe stellt.
Patterson kann kurzweilig und drastisch schreiben. Ohnehin überzeugte Radikalveganer werden das Buch verschlingen und neue Belege für ihre Weltsicht finden. Aber jeder andere wird schnell vermuten, Tierschützer seien grundsätzlich unzurechnungsfähig. Patterson erweist dem Anliegen von Menschen einen Bärendienst, die zu Recht die unwürdigen Zustände in der Massentierhaltung anprangern und für einen demütigeren Umgang des Menschen mit der Schöpfung eintreten.
Pattersons These ist so radikal wie einfach: Die menschliche Entwicklung ist moralisch gesehen eine Degeneration. Wir sind immer grausamer zu unseren Mitmenschen geworden. Auslöser dieser Entwicklung ist die Domestizierung - Patterson schreibt: Versklavung - der Tiere. Tiere werden seitdem nicht mehr nur gejagt, sondern kastriert, eingesperrt, gequält, unterdrückt, ausgebeutet. Da Patterson sich die Forderung verkneift, der Mensch möge zum Wohl der Tiere in die Steinzeit zurückkehren, kann man als sensibler Mensch die Darstellung der Grausamkeiten mit Abscheu und Bedauern lesen. In dem Moment aber, in dem er den Umgang mit Tieren eins zu eins auf den Umgang mit Menschen überträgt, ist er mit seiner monokausalen Beweiskette am Ende.
Die Gleichsetzung erreicht Patterson mit einem Trick. Methoden, mit denen Sklaven gequält und unterworfen wurden und Mittel, mit denen die Nazis ihren industrialisierten Massenmord durchführten, "enttarnt" er als Erfindungen, die ursprünglich aus der Tierhaltung stammen. So wird die Viehzucht technisch zum Wegbereiter der Schoa. Auf moralischer Ebene jedoch fehlt dieser Zusammenhang. Im ganzen Buch findet sich kein Beleg dafür, daß Menschen, die im Schlachthof arbeiten, gegenüber ihren Mitmenschen besonders grausam wären. Weder waren die Nazis allesamt passionierte Rinderzüchter, noch waren ihre Opfer besonders lieb zu Tieren. Daß dieselbe amerikanische Gesellschaft, der Patterson die Erfindung des Schlachthofs als Vorstufe zu Auschwitz vorwirft, die Sklaverei abgeschafft und die Konzentrationslager befreit hat, und daß unter den Menschen, die dafür ihr Leben ließen, auch Metzger und Tierzüchter waren - all dies bringt Pattersons These sehr ins Schwanken, zumal er auf jedes Argument dagegen verzichtet. Daß der Massenmord an den Juden Europas auch ohne die Technologie des "industrialisierten Tötens" realisiert wurde (etwa eine Million Juden in Osteuropa wurden von deutschen Soldaten und Polizisten praktisch im Vorbeimarsch erschossen) erwähnt Patterson ebenso wenig, wie die Tatsache, daß Indiens vegetarische Hindugesellschaft sich nach wie vor schwer damit tut, auf die liebgewonnene Witwenverbrennung zu verzichten.
Eßt mehr wehrlose Möhren! (2)
Die Gleichung "Tierquäler gleich Menschenquäler", die Patterson sogar im Umkehrschluß für gültig erklärt, ist vollkommener Humbug. Statt seine These empirisch zu belegen, zitiert Patterson hysterisch Schoa-Überlebende, die seiner Meinung sind. Widerlich wird diese Vorgehensweise spätestens an dem Punkt, wo Patterson beginnt, selbst Täter als Zeugen aufzurufen: "Franz Stangl, der Kommandant von Auschwitz, erzählte der britischen Journalistin Gitta Sereny von einem Erlebnis in Brasilien nach dem Krieg. Auf einer Reise, so Stangl, habe der Zug in der Nähe eines Schlachthofs gehalten. Als Sereny später Stangls Frau fragte, ob er mit ihr jemals über diesen Vorfall gesprochen habe, verneinte sie. ,Aber wissen Sie, er hörte plötzlich auf, Fleisch zu essen"". Derselbe Stangl (Kommandant in Treblinka, nicht in Auschwitz) sagte knapp 20 Jahre nach seiner angeblichen Wandlung zum Vegetarier bei seinem Prozeß wegen der Beteiligung an neunhunderttausendfachem Mord: "Ich habe ein reines Gewissen. Ich habe nur meine Pflicht getan." Aus Pattersons Buch erfährt man davon kein Wort.
Was der Verlag als "bedrückende Zivilisationskritik" verkauft, ist ein Eigentor, das die deutsche Fleischindustrie mit Erfolg zur Imagewerbung nutzen könnte.
Charles Patterson: Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka. Zweitausendeins, Frankfurt/M. 320 S., 16,90 EUR.
watson